Vinh Moc Tunnel – ein unterirdisches Denkmal
35. Woche
Begeisterung für Vietnams Geschichte
Nach unserer Höhlenexkursion und der Auseinandersetzung mit der Geschichte Vietnams sind wir neugierig geworden. Wir fingen an uns weiter über den Vietnamkrieg zu belesen und welche Orte in unserer Region noch spannend sein könnten. Zwei verschiedene Dokumentationsfilme gaben uns weitere Informationen über den Vietnamkrieg. Interessant und erschreckend zugleich war die teilweise sehr unterschiedliche Berichterstattung. Kein anderer Krieg wurde je so genau dokumentiert. Und bei keinem anderen Krieg gab es weltweit solch heftige Reaktionen. Uns beeindruckt, wie ein so einfaches Volk wie Vietnam den Sieg gegen eine militärische Supermacht, wie Amerika, erlangt hat. Unser nächstes Ziel sollte uns dieses Phänomen ein Stück weit erklären.
Weiterfahrt nach Dong Ha
Direkt an der damaligen Grenze zwischen Nord- und Südvietnam befindet sich die Ortschaft Vinh Linh – und das ist unser nächstes Ziel. Um dorthin zu gelangen buchen wir ein Zugticket in der Holzklasse. Nun sind wir das erste Mal mit der vietnamesischen Eisenbahn unterwegs. Gelegentlich fühlt es sich so an, als würde der Zug neben, anstatt auf den Gleisen fahren, so stark wackelt es hin und her. Wir sitzen auf Holzbänken, mitten unter den Einheimischen. Beim Einsteigen werden wir erstmal interessiert gemustert. Es geht an kleinen Ortschaften und zahlreichen Reisfeldern vorbei. Währenddessen wird im Zug warmes Essen angeboten. Sozusagen „Straßenküche auf Rädern“. Eine Passagierin lässt sich etwas davon geben. Ein bisschen erinnert der Plastikteller mit seinen verschiedenen Kuhlen ans Krankenhaus. Ich staune über ihre Fingerfertigkeit und Leichtigkeit beim Essen mit Stäbchen. Bei mir sieht das noch sehr verkrampft aus.
Motorradfahrt an der Küste
Am nächsten Tag sind wir ca. eine Stunde mit dem Motorrad unterwegs, um Vinh Linh zu erreichen. Wir fuhren an kleinen Dörfern vorbei, an einer patriotisch in die Höhe ragenden Säule und schließlich an der Küste von Vietnam. Die Wellen brechen sich und gelangen an den gelben Sandstrand. Kleine Fischerboote sind am Horizont zu erkennen. Am Strand liegen diese typischen runden Boote. Diese haben ihren Ursprung aus der französischen Besatzungszeit. Für Boote mussten Steuern gezahlt werden. Doch diese runden Nussschalen wurden von den Franzosen nicht als Boote angesehen. Daher bauten sich viele Vietnamesen solche Fischerboote. Mit Kreativität lässt sich wirklich Geld sparen.
Vinh Moc Tunnel
Warum fahren wir eigentlich nach Vinh Linh? Hier befindet sich ein noch intaktes und besuchbares Tunnelsystem aus der Zeit des Vietnamkrieges. Wir tauchen also wieder in die Geschichte dieses Landes ein und stecken dabei unseren Kopf wortwörtlich unter die Erde. Natürlich ist hier viel für Touristen ausgelegt, sodass uns nach dem Kauf der Eintrittskarte, neben diversen Snacks und Getränken auch eine geführte Tour angeboten wurde. Wir lehnten dankend ab. Die Tunnelsysteme können auf eigene Faust erkundet werden. Bevor wir allerdings uns ins Dunkle wagen, schauten wir uns einen Dokumentationsfilm über diese Tunnel an. Die Live-Aufnahmen und Berichte waren sehr informativ, auch wenn der Film einen leichten Propaganda-Touch hatte.
Warum wurden die Tunnel gebaut?
Durch die Nähe zur ehemaligen Nord-Süd-Grenze war dieses Gebiet Zielscheibe zahlreicher Bombenangriffe. Rund 7 Tonnen Bomben sind hier pro Einwohner nieder geworfen worden. 1966 wurde die Landschaft von Vinh Linh schließlich total zerstört, sodass das Leben unter der Erde weiter geführt wurde. Mit dem Tunnelbau wurde schon früher begonnen. Der erste Tunnel war allerdings nicht tief genug und besaß zu wenig Luftzirkulationsmöglichkeiten. Bei einem Bombenangriff stürzte der Tunnel aufgrund der Vibration zusammen.
Neues Tunnelprojekt
Also wurde ein neues Tunnelprojekt gestartet, das tiefer angelegt war. Die eine Gruppe begann im Osten zu graben, die andere im Westen. Mit einfachen Mitteln richteten sie den Bau metrisch aus, sodass sich die zwei Gänge am Ende unter der Erde trafen. Hierbei wurde mit Licht und Schall, durch das Klopfen an die Wände, gearbeitet. Nach 18 Monaten harter Arbeit, bei der 3,76 Millionen Kubikmeter Erde heraus gegraben wurden, war das Untergrunddorf fertig. Mehrere Ausgänge führten zum Strand, sodass durch die windige Meeresluft eine gute Luftzirkulation möglich war.
Anlage des Untergrunddorfes
Das Tunnelsystem bestand aus drei verschiedenen Ebenen. Die obere Ebene befand sich auf 10-12m Tiefe und wurde vorwiegend von den Soldaten genutzt. Auf 12-15m lag die zweite Ebene, auf der das tägliche Leben stattfand. Lebensmittel und Waffen wurden in der dritten Ebene, auf ca. 30m, gelagert. Es gab eine Kommunikationszentrale, ein Krankenhaus, Gemeinschaftsräume und sogar Küchen. Anfangs musste aufgrund des Rauches und Geruchs draußen gekocht werden. Doch die Vietnamesen entwickelten ein kluges System, damit der Rauch aus dem Tunnel abziehen kann und somit das Kochen auch unter der Erde möglich war. Außerhalb der Tunnel befanden sich zahlreiche Grabensysteme, die mit Zweigen und Bäumen zugedeckt waren. So konnten die klein gewachsenen Vietnamesen unauffällig von einem Ort zum nächsten kommen, ohne dabei von den Amerikanern aus der Luft entdeckt zu werden.
Leben unter der Erde
Bei Alarmwarnung begaben sich alle Dorfbewohner in den Tunnel. Es gab Zeiten, in denen sich 600 Menschen im Tunnel befanden. Häufig für mehrere Tage. Das alltägliche Leben ging unter der Erde weiter. Kinder wurden unterrichtet, Essen wurde gekocht, Waffen wurden gereinigt. Mit Licht wurde allerdings sehr sparsam umgegangen. Nur wenn es wirklich notwendig war, nutzten sie das begrenzte Lichtmaterial. Jede Familie hatte eine kleine Nische für sich. Für uns große Menschen keine angenehme Vorstellung in diesen engen Räumen zu verweilen. Auch gab es eine Geburtstation. Insgesamt wurden 64 Kinder in diesem Tunnelsystem geboren.
Heldenhafter Optimismus
Während draußen die Bomben wie starker Regen niederprasselten, wurde unter der Erde gesungen. In jedem Untergrunddorf gab es Sing- und Tanzbeauftragte. So wurde zum Einen für Unterhaltung gesorgt, aber vor allem stärkte das gemeinsame Singen den eisernen Willen der Vietnamesen sowie ihren Glauben an den Sieg. Diese Aktionen während des Bombenregens wurden „singing down the bombs“ genannt.
Vom Boden aus schossen die Vietnamesen von dieser Stellung 269 amerikanische Flugzeuge und um die 60 Kriegsschiffe ab.
Unter der Erde
Nun begaben wir uns in die historisch beeindruckenden Tunnel. Mit Kopflampe gewappnet verließen wir das Tageslicht. Ein bisschen komisch wurde mir im Magen, als wir so viele Stufen herunter gingen. Waren wir nun schon auf 30m? Wir liefen die ganze Zeit gekrümmt. Während der Eingangsbereich noch mit Holzplanken gestützt wurde, bestand die Höhlenwand im Inneren nur noch aus dieser rot-braunen Erde. Die Luft war warm und stickig. Es tropfte von oben.
Tunnel-Labyrinth
Wir besaßen eine Karte mit dem Tunnel System. Darauf waren auch besondere Orte wie z.b. der Gemeinschaftsraum oder das Familienzimmer verzeichnet. Wir wählten unterschiedliche Gänge aus und dachten, dass wir der Karte folgen. Umso verwunderter waren wir, als wir plötzlich am Meer rauskamen. Dennoch tat die frische Meeresluft enorm gut. Das Tunnelsystem ist ein wahres Labyrinth und lädt zum Verirren ein. Wir wählten einen neuen Eingang. Es ging durch einen Tunnel, auf dessen Boden ein kleiner, flacher Wasserfluss zu beobachten war. Bei einer anderen Abzweigung, die angeblich zum Krankenzimmer führen sollte, stand der Tunnel komplett unter Wasser. Hier ging es für uns also nicht weiter. Wir wählten einen anderen Weg und kamen wieder überraschend an einer ganz unerwarteten Stelle heraus: beim Museum.
Museumsbesuch
„Nagut“, dachten wir uns, „dann schauen wir uns jetzt das Museum an“. Entschärfte Blindgänger machten uns die gewaltige Größe der Bomben bewusst. Im Museum waren einige Fotoaufnahmen aus dieser Zeit ausgestellt, die das Leben unter der Erde sowie im Kampf darstellten. Plötzlich kam ein kleiner vietnamesischer Mann zu uns und fuchtelte ganz aufgeregt mit den Armen. Dabei zeigte er auf ein altes Bild mit einem kleinen Jungen, der eine Waffe trägt. Anschließend zeigte er auf sich. So langsam dämmerte es uns. Fragend zeigten wir auf ihn und dann auf den Jungen und er nickte bestätigend. Er ist der Junge auf diesem Foto.
Treffen eines Zeitzeugen
Kurz danach zeigte er aufgeregt auf ein Bild, auf dem Babys in Weidenkörben zu sehen waren. Er wurde in diesem Tunnel geboren. Er war einer von diesen 64 Kindern, die in ihren ersten Tagen kein Tageslicht gesehen haben. Wow! Wir waren schwer beeindruckt. Er führte uns direkt zum nächsten Bild und versuchte uns Dinge zu erklären. Sein Erklären beruhte auf Körpersprache und unterschiedlich ausgedrückten Lauten. Eine richtige Sprache verwendete er nicht. Doch verstanden wir meist, was er uns sagen wollte. Er schien er für dieses Thema zu brennen und es schien ihn sehr zu bewegen.
Bewegende Begegnung
Als Jonathan ihm erzählte, dass er in der DDR geboren wurde und ihm die Flagge zeigte, klatschte der Vietnamese in die Hände, bekam ein Strahlen in sein Gesicht, salutierte vor Jonathan und schüttelte ihm freudig die Hand. Er zeigte uns noch weitere Bilder und wir merkten, dass er vor allem für Ho Chi Minh eine große Begeisterung pflegte. Diese Begegnung machte unseren Museumsbesuch wirklich lebendig. Später unterhielten wir uns mit einer Frau an der Kasse. Sie staunte, dass wir den vietnamesischen Mann verstanden hatten. Dann erzählte sie uns, dass dieser seit einem Bombenanschlag so gut wie taub sei. Das erklärt auch die undeutliche Sprache. Was eine beeindruckende Erfahrung. Wir hätten gerne mehr von seinen Erlebnissen erfahren.
Beeindruckendes Volk
Das Tunnelsystem und die ganze Geschichte drum herum hat unsere oben genannte Frage ein Stück weit beantwortet. Der Glaube an den Sieg, heldenhafter Optimismus, Zusammenhalt, Bereitschaft zu verzichten und in widrigen Umständen zu leben haben dazu beigetragen, dass dieses einfache Volk gegen eine militärisch hochtechnisierte und überlegene Macht gesiegt hat. Wir haben großen Respekt vor diesem eisernen Willen und fühlen uns geehrt, jemanden kennengelernt zu haben, der dieses alles live miterlebt hat.
Kleiner einheimischer Markt
Auf der Rückfahrt unserer Tunnelerkundung fuhren wir wieder an der Küste vorbei. Plötzlich entdeckten wir eine größere Ansammlung von Vietnamesen. Ein Markt. Wir hielten an und schauten uns das ganze aus der Nähe an. Wieder wurden wir überhäuft mit lächelnden Gesichtern. Hier gab es das Obst nochmal günstiger, wahrscheinlich ohne Touristen-Aufschlag. Das war ein toller Abschluss dieses Tages. Ergänzt wurde er mit einem herzlichen Lachen. Denn als wir wieder zum Motorrad gingen, hörten wir in der Nähe Dieter Bohlen „You’re my heart, you’re my soul“ singen. In so einem Dorf, wo scheinbar kein Tourist wohnt!
Folgendes Video ergänzt den Beitrag
Elisabeth & Hartmut
3. Februar 2019 @ 20:17
Liebe Anne und Jonathan,
euer Video und Treffen mit einem Zeitzeugen des verheerenden Krieges in Vietnam hat uns auch tief beeindruckt.
Damit ihr auch von uns noch etwas lernt: Die Ausführungen über das Tunnelsystem von Vinh Moc erinnerte uns sehr stark an unseren Besuch der Katakomben von Odessa. Das ist ein über 2500 km langes Tunnelsystem in mehreren Etagen unter der Stadt (entstanden durch Gewinnung von Baumaterial für Odessa). Dort verschanzten sich erfolgreich die Partisanen im Kampf gegen rumänische und deutsche Besatzer im II. Weltkrieg. Das Leben lief ähnlich ab.
Wir wünschen, dass der Frieden in Europa erhalten bleibt und überall einzieht.
Es ist gut, dass die noch lebenden Zeitzeugen berichten.
DAKESCHÖN, dass wir auf eurer großen Reise so viel von euch lernen konnten!!!
Ein gutes Ankommen in Deutschland wünschen euch von Herzen
Elisabeth und Hartmut
reiseeinfachundlebe
12. Februar 2019 @ 10:34
Liebe Elisabeth und lieber Hartmut,
nun sind wir schon wieder in Deutschland. Wir versuchen uns an das kalte Wetter, die deutsche Kultur und einfach die anderen Lebensumstände zu gewöhnen. Es tut auf jeden Fall gut, dass wir zwei uns haben 🙂
Vielen lieben Dank für eure Wertschätzung! Für uns ist es eine riesige Freude, dass ihr von unserer Reise mit profitieren konntet.
Diese Art von Tunnelsystemen sind wirklich beeindruckend. Interessant, wo überall diese unterirdischen Gänge zu finden sind. Wahnsinn, wie groß das Tunnelsystem ist, von dem ihr berichtet habt!
Ohja, wir sind so dankbar, dass wir bisher von Krieg verschont geblieben sind.
Wir würden uns freuen, wenn ihr in Kontakt bleiben. Viele liebe Grüße, diesmal aus dem kalten Deutschland 😉
Jonathan und Anne